Auch Überleben ist eine Erfolgsstrategie
Selbst in schwierigen Zeiten sehen Galeristen in Zürich Chancen – und wissen sie zu nutzen. So etwa die Galerie Lullin + Ferrari
Dass eine Galerie ihre Räume verdoppelt, lässt dieser Tage aufhorchen. Expandieren jetzt, mitten in der Corona-Krise? Wie kann das gehen? Besonders an dieser Nachricht ist auch die Tatsache, dass es sich bei der Zürcher Galerie Lullin + Ferrari um eine zwar durchaus etablierte, aber nicht um eine der grossen Galerien der Limmatstadt handelt. Einige davon haben sich Richtung Kreis eins ins Zentrum bewegt, wo noch dieses Jahr die Kunsthauserweiterung eröffnet werden soll. So betrachtet, verhalten sich Etienne Lullin und Corrado Ferrari mit dem Verweilen am selben Standort unweit des Löwenbräu-Areals eher antizyklisch. Die Ausweitung auf die Räumlichkeiten neben dem Stammsitz, wo bis 2019 die Galerie Bolte Lang wirkte, deutet zumindest darauf hin, dass es der Galerie gutgeht.
Das ist keine Selbstverständlichkeit – nicht nur angesichts der gegenwärtigen Situation. Denn die Zürcher Galerienszene hatte in den letzten Jahren einige Schliessungen zu verzeichnen, gerade im mittleren Segment. Natürlich gibt es auch in Zürich immer wieder Verwegene, die den Einstieg in dieses schwierige Terrain wagen, aber die Realität zeigt ein wenig erbauliches Bild.
«Von der ‹School of 2008› – wie wir intern unsere Generation von lokalen Galerien nennen – gibt es nicht mehr viele», stellt auch Ferrari ernüchtert fest. Dazu hat nicht zuletzt der ganze Kunstzirkus beigetragen, in dessen Manege es eben Löwen gibt, die lauter brüllen als Clowns lachen können. Da bringt Jammern nicht viel, einzelne Galerien zogen einen Schlussstrich und sprangen von diesem sich aberwitzig schnell drehenden Karussell ab.
Grössere Plattform
Was sind also die Gedanken hinter dem «Fresh-up» der Galerie Lullin + Ferrari? Wohl nicht zufälligerweise heisst die Ausstellung, mit der dieser Schritt gefeiert wird, «Spring in Your Step». Inwiefern diese Schau einen Aufbruch zu neuen Ufern markiere, fragten wir die Galeristen. «Grundsätzlich wird sich an unserem Konzept nicht viel ändern, ausser dass wir mit der Verdoppelung der Ausstellungsfläche unseren Künstlerinnen und Künstlern eine grössere und attraktivere Plattform bieten können», sagt Lullin bei unserem Besuch.
Die Frage, wie man als mittelgrosse Galerie in diesem kompetitiven System überleben könne, stellten sich die beiden Galeristen schon 2018 nach ihrem zehnjährigen Bestehen. Es ging dabei um eine Standortbestimmung, darum, die eigene Identität deutlicher zu definieren. Denn seit 2008 hat sich in der Kunstwelt einiges gewandelt. Umbrüche sind auch eine Gelegenheit, über die eigenen Ursprünge nachzudenken.
Eine Fussballfreundschaft
Wie es zur Eröffnung ihres eigenen Geschäfts kam und wie sich die beiden Kunstkenner zum ersten Mal trafen, ist eine Geschichte für sich – vielleicht eine gar nicht so untypische für «little» Zürich. Beide spielten nämlich als Teenager zusammen Fussball im FC Seefeld. Und im Seefeld kreuzten sich ihre Wege viele Jahre später wieder, als Lullin nach seinem Kunstgeschichtsstudium an der Universität Zürich eines Tages die Galerie Turske & Turske besuchte, die sich damals in der Mühle Tiefenbrunnen befand. Dort arbeitete Corrado Ferrari – infiziert vom Kunstvirus – nach einem abgebrochenen Architekturstudium. Beide waren über dieses unerwartete Wiedersehen erfreut, und so stand schon damals das Interesse an einem gemeinsamen Projekt im Raum. Zuvor war Lullin aber unter anderem noch als Kurator beim Kunstmuseum Winterthur tätig, und Ferrari heuerte nach dem Konkurs von Turske & Turkse bei der Galerie Jamileh Weber an.
2008 also erfolgte der Startschuss zur Gründung der Galerie Lullin + Ferrari. Dass sie beide schon etwas älter waren bei diesem Schritt, sehen sie sowohl als Vor- wie auch als Nachteil. Es gebe ja auch Beispiele in der Geschichte, die für einen späten Einstieg ins Business sprächen; der legendäre New Yorker Galerist und Kunsthändler Leo Castelli etwa sei auch über 50 gewesen, als er seine Galerie gegründet habe, meint Lullin augenzwinkernd. Eine kunsthistorische und praktisch orientierte Kennerschaft zu haben, ermöglichte es ihnen, parallel zur klassischen Galeristentätigkeit andere Geschäftsfelder aufzubauen. «Durch Vermittlung von Kunstwerken, durch Fachexpertisen und Verkäufe auf dem Secondary Market konnten wir die Galerie quersubventionieren», sagen beide.
Die klassische Programmgalerie als Konzept hinterfragen die beiden, denn die Karriere von Künstlerinnen und Künstlern aufzubauen, zusammen «gross» zu werden, ist angesichts eines Systems von mächtigen Galerien, die den Markt beherrschen, schwieriger geworden. Lullin + Ferrari sehen sich vielmehr als Nischengalerie, die bewusst die Betreuung der Kundschaft pflegt. Das merkt man auch, wenn man in der Galerie sitzt und die beiden bei der Arbeit beobachtet. Besucherinnen und Besucher werden freundlich empfangen, Fragen beantwortet und Wissen weitergegeben.
Die lokale Szene pflegen
Immer noch haben viele Menschen nämlich Schwellenangst, eine Galerie zu betreten, vor allem wenn sie einfach nur schauen möchten, ohne etwas zu erwerben. Doch zum Schauen und Lernen seien Galerien eben auch da, sind Lullin und Ferrari überzeugt. «Es fehlt leider an einer politischen Lobby, die den Wert der Plattform Galerie aufzeigt. Das ist schade», finden die Galeristen. Dass sie sich mehr dem Pflegen der lokalen Szene widmen möchten, ist auch einer der Gründe, weshalb sie wenig Messen machen. An solchen teilzunehmen, ist extrem teuer und zeitaufwendig. Lieber investieren sie ihre Energie in das Kuratieren von Ausstellungen oder das Organisieren von Veranstaltungen.
Letztes Jahr etwa veranstaltete das Künstlerduo Wiedemann/Mettler während seiner Ausstellung in den Räumlichkeiten der Galerie eine Paartherapiesitzung, die live übertragen wurde. Damit bewies nicht nur das Künstlerpaar Humor, der durchaus kritische Geist dieses Happenings ist auch typisch für die Haltung der beiden Galeristen. Vielleicht ist es auch einfach eine Überlebensstrategie. So gesehen, kann auch der Titel einer von ihnen kuratierten Gruppenausstellung als Motto verstanden werden: «When the facts change, I change my mind». Flexibilität ist wohl auch angesichts der gegenwärtigen Pandemie die einzig mögliche Option.
Published: nzz.ch