Richdig oder Falsh? J-Talk mit wiedemann/mettler

Richdig oder Falsh? Im Oktober stehen bei Jelmoli alle Zeichen auf «friendly Take Over» durch das Zürcher Künstler-Label wiedemann/mettler. «Richdig» heisst das Projekt und stellt Wortwitz und Irritation ins Zentrum der Intervention.

Ein Spätsommertag. Versteckt inmitten des Zürcher Seefelds liegt die Wohnung des charismatischen Künstler-Duos Pascale Wiedemann und Daniel Mettler. Hier leben die beiden zusammen mit ihrem Sohn Tim und Kater Junior. Dreistöckig, lichtdurchflutet mit drei Terrassen. Eine wahre Oase und ein riesiges Glück, gerade in diesen Zeiten, so die beiden. Und natürlich gibt es viel zu entdecken. Wie die Ansammlung von Porzellanfiguren. Zusammengepfercht auf dem Schrank in Pascale Wiedemanns Atelier. Zunächst irritierend spiessig in dem Kontext der modernen Wohnung. Auf den zweiten Blick fällt auf: die Augenpartien wurden ausgebohrt. Ihre Handschrift eben. Die mehrfach ausgezeichneten und hochdotierten Künstler arbeiten seit 2002 als Duo zusammen –und damit genauso lange, wie sie selbst ein Paar sind. Beide kommen aus der angewandten Kunst. Daniel als Architekt und bis heute Dozent an der ETH und Fotograf, Pascale Wiedemann mit ihrem Hintergrund als Industriedesignerin, Bühnenbildnerin und Dekorationsgestalterin. Die Arbeit zwischen angewandter und Bildender Kunst ist zentral in ihren Arbeiten. Während er die Fotografie, das Formale und Sachliche liebt, sind Materialien und das Handwerk ihre Welt.

Ab dem 8. Oktober werden die Schaufenster bei Jelmoli nun zur Galerie, während im kleinen Shop in Shop Kunst in Form von limitierten Editionen zur Ware wird. Alltagsgegenstände, entworfen im Kontext der Intervention. Kleine Kunstwerke von wiedemann/mettler zu erschwinglichen Preisen sozusagen. Dass Pascale Wiedemann während dieser Zeit persönlich vor Ort ist, versteht sich dann auch von selbst. Und das Verkaufsmöbel? Eine eigens für Jelmoli kreierte Installation, bei der hellblaue Strumpfhosen zu Protagonistinnen werden. Und wie in einer echten Galerie, können die Kunstwerke in den Schaufenstern auch käuflich erworben werden.

Daniel, du bist Architekt und Jelmoli ein ikonisches Gebäude. Wie war es für dich, den Glaspalast künstlerisch zu bespielen?

Daniel Mettler: Das war spannend. Als Architekt kennt man das Gebäude und mit der Auseinandersetzung in diesem Projekt stellt man diese wunderbare Detaillierung fest und was über die vielen Jahrzehnte erhalten blieb. Pascale, du hast eine besondere Verbindung zum Thema Warenhaus…

Pascale Wiedemann: Ja, bevor ich hier in Zürich an die Kunsthochschule gegangen bin, habe ich in den 1980er-Jahren in Graubünden eine Ausbildung zur Dekorationsgestalterin gemacht. Warenhäuser sind faszinierend und ihre Schaufenster meiner Meinung nach der meist unterschätzteste Ort in jeder Stadt.

Bei Jelmoli ändert sich jetzt nun. Im Oktober stehen alle Zeichen auf «friendly Take Over» durch euch. Könnt ihr das etwas genauer ausführen?

DM: Es ist eigentlich eine künstlerische Übernahme für einen kurze Zeit. Dabei konzentrieren und reduzieren wir uns auf die Schaufenster und auf die Fahnen auf dem Dach. Kurz gesagt handelt es sich um kleine Interventionen, die eine möglichst grosse Irritation auslösen.

Inwiefern Irritationen?

PW: Irritation ist ein immer wiederkehrendes Thema in unseren Arbeiten. Bei Jelmoli arbeiten wir in den Schaufenstern mit Begriffen, die kleine Schreibfehler enthalten und bei den Schweizer- und Zürcherfahnen verändern wir deren Farblichkeit. Das irritiert erst einmal.

Für eure Intervention nutzt ihr die Schaufenster als musealen Raum mit kuratierten Begriffen in Neon-Schnürlischrift. Sehr minimalistisch … Warum?

DM: Weil wir überzeugt waren, dass es eine einfache und leicht erkennbare Idee sein musste. Es wäre falsch gewesen, die Schaufenster zu «dekorieren». Es braucht eine Abkehr davon und wir glauben, dass wir es mit den Begriffen auf das Wenigste reduzieren. Inhaltlich ist die Umsetzung witzig und macht nachdenklich zugleich, was uns wichtig ist. Wir arbeiten nicht als Weltverbesserer. Wir hinterfragen zwar, aber immer auf eine möglichst ironische Art und Weise. Man kann darüber nachdenken, man muss aber nicht. Das Schlimmste ist, wenn man als Künstlerin oder als Künstler so didaktisch rüberkommt.

Darf Kunst also einfach auch nur unterhalten?

DM: Ja, genau, wir sehen das als Unterhaltung.

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Ihr spielt mit Begrifflichkeiten und hier wiederum mit dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren … Möchtet ihr den Betrachtenden etwas vermitteln oder einfach nur überlassen?

DM: Auch überlassen. Man kann das Wort «Gedult» als Beispiel nehmen. Es beinhaltet einen kleinen Fehler. Es ist nicht der offensichtlichste Fehler. Man kann darüber stolpern.

PW: Mich interessieren Wörter wahnsinnig, weil sie bei Menschen Räume aufmachen. Sobald ich das Wort lese habe ich ein formales Problem, weil es falsch geschrieben ist, aber ich setze mich dann auch mit dem Begriff auseinander. Was ist Geduld überhaupt? Wir arbeiten mit Wörtern, die möglichst grosse Gedankenräume öffnen.

Wenn wir bei Räumen sind – wie sehr kommen sich für euch Kunst und Konsum im räumlichen und übertragenen Sinne nahe?

PW: Es rückt alles immer näher zusammen. Es ist auch für uns interessant, weil wir uns mit der bildenden Kunst und angewandten Kunst sehr gerne beschäftigen. Hier «benutzen» wir Jelmoli in Anführungszeichen als Galerie oder und wir hinterfragen dann auch, was ist ein Label und was ist Kommerz und was ist Kunst. Das ist eine zentrale Frage.

Ketzerisch nachgefragt: Lassen sich hier überhaupt Grenzen ziehen?

DM: Es ist eigentlich das Gleiche. Es gibt keinen Unterschied. Schlussendlich sind es die Märkte oder auch die Historie, die den Unterschied machen. Im künstlerischen Bereich lässt es sich einfacher schönen, aber letztlich ist es dasselbe. Ich möchte es jetzt nicht mit den allermiesesten Geschäften in Zusammenhang stellen, aber im globalen Kontext ist Kunst längst eine Geldanlage und eine Waschmaschine, wie in allen anderen Branchen auch. Dieser hehre Kunstgedanke ist oft vernachlässigbar.

PW: Diesen hehren Kunstgedanken empfinde ich eigentlich am stärksten während der Arbeit an der Kunst, dann ist er aber auch schon wieder verschwunden.

Am Schluss bleibt Kunst ein Konsumgut?

PW: Genau. Das muss per se aber nichts Schlechtes sein. Für Jelmoli bringen wir zahlbare Kunst ins Haus. Wir produzieren verschiedene künstlerischen Editionen in limitierter Auflage, die wir bei Jelmoli im Shop in Shop verkaufen.

Ab dem 8. Oktober bis du dann persönlich für drei Wochen bei Jelmoli … Ich nehme an eine ganz neue und mit Spannung erwartete Erfahrung?

PW: Ja, es ist spannend für uns, an einem Ort wie Jelmoli zu sein, an dem niemand Kunst im klassischen Sinne erwartet. Und wir machen auch keine Kunst im klassischen Sinn, indem wir Malereien oder Fotografien verkaufen, sondern wir machen Produkte, die man durchaus kauft, aber sie haben eine künstlerische Intention.

Zum Beispiel …?

Das sind limitierte Editionen, die den Schriftzug der Begriffe auf sich tragen. Darunter Moleskin-Notizbücher, Sweat-Shirts, Pouches, Flaschenöffner, Taschenmesser oder auch Trinkflaschen.

Ein Stück bezahlbare Kunst von Wiedemann/Mettler also?

Richtig (richdig?)

Und was ist mit den Neon-Schriftzügen aus den Schaufenstern?

PW: Die können Interessierte, wie in einer Galerie, ebenfalls kaufen.

Seit 2002 Jahren arbeitet ihr zusammen. Wie muss ich mir den Arbeitsprozess bei Wiedemann/Mettler vorstellen?

PW: So ein Prozess läuft bei uns eigentlich immer gleich. Man könnte sagen, es ist ein Zusammentragen von beiden Seiten. Meistens ist es so, dass ich viel schneller viel mehr sprudle und Daniel ist der, der die Sachen kanalisiert und sortiert. Ich liebe die Arbeit mit Materialien, die Malerei und die typisch weiblichen Kunstformen wie stricken oder sticken.

DM: Bei Konzeptarbeiten arbeiten wir zunächst jeweils für uns allein. Wenn wir dann unsere Vorschläge und Ideen zusammenbringen, dann wird das sehr schnell kompetitiv. Jeder von uns möchte seiner Vision Gewicht verleihen und mittlerweile wissen wir aber auch, wie wir damit umgehen und das bleibt dann in der Regel ganz friedlich.

Helfen euch diese Reibungspunkte im kreativen Prozess …?

DM: Man muss sich argumentieren und das hilft einem zu überprüfen, ob die eigene Idee überhaupt Sinn macht.

Ihr seid sehr unterschiedliche Charaktere. Wie geht ihr mit dieser Dualität um?

DM: Wir könnten nicht unterschiedlicher sein. Eigentlich müsste man sagen, dass wir gar nicht zusammen passen. Pascale sieht es immer anders als ich. Eigentlich das ganze Leben, alles. Ich bin da eher immer nüchterner. Aber gerade aus unserer Verschiedenheit schöpfen wir die kreative Kraft.

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Nun eine sehr persönliche Frage: Was ist für euch das Grösste, dass wir im Leben lernen müssen?

PW: Ich finde das grösste ist, zu verzeihen, zu vergeben. Das ist vielleicht das Schwierigste, aber auch das beste, wenn man sich darin übt grosszügig zu sein.

DM: Grosszügigkeit würde ich auch sagen. Mental grosszügig zu sein, an dem muss ich heftig arbeiten. Es fällt mir leicht materiell grosszügig zu sein, das schmerzt mich nicht. Wenn ich das mental so hinbekommen würde wie materiell, wäre ich auf einem besseren Weg. Das Lernen zu lernen ist die Hauptaufgabe. Aber ich möchte das nicht nur positiv konnotieren, man muss auch negative Sachen lernen, wie egoistisch oder böse zu sein.

Live Talk – Jelmoli X wiedemann/mettler mit: Pascale Wiedemann & Daniel Mettler (Künstlerkollektiv), Nina Müller (CEO Jelmoli), Erhard Schwendimann (CSO Jelmoli), Michelle Nicol (Moderatorin)

14 October 2021, 6pm

Anmeldung: Jelmoli, Restaurant Sopra (4 floor)

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