Präzision gepaart mit verwirrender Unschärfe
Von Hans-Bernd Heier
Akribische Buntstiftzeichnungen und großformatige Aquarelle – das Werk von Slawomir Elsner ist so ungewöhnlich wie vielseitig. Unter dem Titel „Präzision und Unschärfe“ widmet das Museum Wiesbaden bis zum 6. März 2022 dem Träger des Otto-Ritschl-Preises 2020 die erste umfassende museale Einzelschau. Die Sonderausstellung bietet einen Überblick über den künstlerischen Werdegang des Malers. Zu sehen sind Arbeiten, die noch zu Studienzeiten entstanden sind, bis zu den Werken, die der Künstler eigens für die Ausstellung angefertigt hat. Im Zentrum stehen seine aktuellen Farbarbeiten. Versammelt sind neben einer 20-teiligen Fotoserie rund 50 Arbeiten aus seinen charakteristischen Werkserien.
Slawomir Elsner, 1979 in Polen geboren, lebt und arbeitet in Berlin. Er studierte an der Kunsthochschule Kassel, zuletzt als Meisterschüler von Prof. Norbert Radermacher. 2020 wurde Elsner mit dem renommierten Otto-Ritschl Preis ausgezeichnet. 1999 erhielt er eine Studienförderung durch das „Cusanuswerk“. Seine Arbeiten befinden sich u. a. in der Sammlung der Deutschen Börse, im Kupferstichkabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, in der Staatlichen Graphischen Sammlung München, im Bechtler Museum of Modern Art (North Carolina, USA), in der Rubell Family Collection (USA), in den Museen Böttcherstraße und im Märkischen Museum in Witten.
In seinen Buntstiftzeichnungen überträgt der Künstler malerische Aspekte alter Meister in das Medium der Zeichnung. Strich für Strich nähert er sich den historischen Gemälden an, indem er kurze Linien zu immer dichteren Farbgeflechten übereinanderlegt. So nimmt er Bezug zu unverkennbaren Bildern des kulturellen Gedächtnisses, wie beispielsweise dem Mädchen mit dem Perlenohrring von Jan Vermeer.
Seine Technik der Farbstiftzeichnung ist laut Jean Christophe Ammann, dem ehemaligen Direktor des Frankfurter Museums für Moderne Kunst, „faszinierend wie einmalig und wird von Elsner auf innovative Art angewendet. Typische Arbeiten in dieser Technik sind die außergewöhnlichen, verwirrend unscharf wirkenden, aber scharf mit Farbstiften gezeichneten Adaptionen von berühmten Bildern der Kunstgeschichte“. Als Grundlage für seine Zeichnungen und Malereien dienen meist Fotografien. Dabei geht Elsner stets der Frage nach, ob Bilder die Wirklichkeit wiedergeben oder sie deformieren. Den Betrachter möchte er dazu anregen, dessen eigene Seherfahrungen kritisch zu überprüfen.
Auch sind in der höchst beeindruckenden Schau Hauptwerke aus der Wiesbadener Sammlung, z. B. von Alexej von Jawlensky, Otto Mueller und Carl Spitzweg zu sehen, die Elsner aus seiner speziellen Sicht gezeichnet hat. Andere Werke knüpfen an das kollektive Gedächtnis der Gegenwart an. Die Farbstiftzeichnungen der Werkserie „Windows on the World“ sind beispielsweise an Fotografien der gleichnamigen Bar angelehnt, die sich auf der 107. Etage des World Trade Centers in New York befand und die Elsner im Frühjahr 2001, nur wenige Monate vor den Terroranschlägen, gemacht hat.
In der Werkserie abstrakter Aquarelle „Just Watercolors“ trägt er unzählige monochrome Farbschichten auf außergewöhnliche Großformate auf, die sich zu großartigen Farbräumen hin öffnen oder verdichten. Im Gegensatz zu den kontrollierten Buntstiftzeichnungen überlässt er hierbei die Interaktion von Farbmaterial und Papier dem Zufall und steuert lediglich das Verhältnis von Wasser und Farbe und den zeitlichen Abstand der einzelnen Schichten. Damit hat er eine sehr eigenständige Position im zeitgenössischen Kunstgeschehen entwickelt.
„Slawomir Elsner ist ein Künstler, der mit einer überzeugenden konzeptuellen Klarheit und einer souveränen künstlerischen Technik sich zwei zentralen Grundsubstanzen der Malerei widmet, nämlich der Farbe und dem Licht“, erläutert Dr. Andreas Henning, Direktor des Landesmuseums Wiesbaden und Kurator der Ausstellung. „Interessanterweise nutzt er dazu Buntstifte und Aquarell, zwei in der Geschichte der Kunst oft marginalisierte Medien. Mit ihnen erschafft er luminöse Farbräume und offenbart darin eine künstlerische Verwandtschaft mit Otto Ritschl. Ich danke daher sehr dem Museumsverein Ritschl e.V., der in Kooperation mit dem Museum Wiesbaden Slawomir Elsner den Ritschl-Preis 2020 zuerkannt hat. Wir freuen uns, die dem Preis zugehörige Ausstellung jetzt der Öffentlichkeit präsentieren zu können.“
Mit-Kuratorin Lea Schäfer ergänzt: „Trotz so offensichtlicher Unterschiedlichkeit in Sujet und Technik basieren die Aquarelle und Zeichnungen auf dem gleichen künstlerischen Prinzip: der Lichtquellen, die im Bild eingewoben, dieses von innen heraus zum Leuchten bringen. Ziel der Ausstellung ist es, diese besondere Qualität der Arbeiten aus den aktuellen Werkserien von Slawomir Elsner erfahrbar werden zu lassen.“ Und das ist in der sehenswerten Präsentation überzeugend gelungen.
Der Otto-Ritschl-Preis wird seit 2001 vom Museumsverein Ritschl in Kooperation mit dem Museum Wiesbaden in mehrjährigem Rhythmus verliehen. Bisherige Preisträger*innen sind Gotthard Graubner, Ulrich Erben (2003), Kazuo Katase (2009) und Katharina Grosse (2015). Der Verein, der Erbe des Nachlasses des 1976 in Wiesbaden verstorbenen Malers Otto Ritschl ist, vergibt laut Statuten den mit 15.000 Euro dotierten und einer Werksausstellung verbundenen Preis an Künstler*innen, die langfristig ein interessantes, profiliertes und anerkanntes Werk schaffen, das eine künstlerische Perspektive aufweist, wobei die Preisträger*innen das 40. Lebensjahr überschritten haben. Für die Auszeichnung und Wertschätzung seiner Arbeit zeigte sich Elsner „von Herzen dankbar. Der Ritschl-Preis kam unerwartet und ich bin sehr geehrt und erfreut, ihn mitsamt der großzügigen Ausstellung entgegen nehmen zu dürfen!“
Zur Ausstellung erscheint im Dezember 2021 ein begleitender Katalog im DCV Verlag mit Installationsansichten der Schau und Beiträgen von den Kuratoren Dr. Andreas Henning und Lea Schäfer sowie Dr. Anne-Marie Bonnet und Dr. Nils Ohlsen. Zudem wird der Katalog einen Index enthalten, in dem die in der Ausstellung behandelten Serien vollständig abgebildet werden. Der Katalog (144 Seiten, Hardcover, zweisprachig deutsch / englisch) kostet an der Museumskasse 26,- Euro.
Die Katalogvorstellung findet am Freitag, 10. Dezember 2021, im Rahmen eines Künstlergesprächs im Museum Wiesbaden statt. Anmeldung ist erforderlich unter: https://tickets.museum-wiesbaden.deEin weiteres Highlight im Rahmen des umfangreichen Begleitprogramms ist der Kinderworkshop „Zeichnen mit dem Künstler“ am 1. Februar 2022 um 15:00 Uhr.
Der Künstler bietet im Rahmen der Ausstellung eine exklusive Edition „Frau mit Fächer“ (nach Alexej von Jawlensky, 1912, Museum Wiesbaden) an.
„Slawomir Elsner – Präzision und Unschärfe“ bis zum 6. März 2022 im Museum Wiesbaden
Weitere Informationen unter: www.museum-wiesbaden.de
Dieser Eintrag wurde verfasst am 23. November 2021, letzter Zugriff am 28. Januar 2022: https://www.feuilletonfrankfurt.de/2021/11/23/ritschl-preis-traeger-slawomir-elsner-im-museum-wiesbaden/