Die Lyrikpolizei und schmutzige Turnschuhe

Basler Zeitung, Dienstag, 10. Mai 2022

Auf poetischer Grenzfühlung

Im Kunsthaus Baselland beschäftigen sich zwei Ausstellungen mit der Poesie des Alltäglichen.

«Poem Police» zeigt bis Mitte Juli die Arbeiten der französischen Künstlerin Anne-Lise Coste. Und noch bis Mitte Mai ist die sich im Annex des Kunsthauses befindende Ausstellung «Eine kurze Geschichte schmutziger Turnschuhe» des Künstlerinnenduos Claudia und Julia Müller zu sehen. Die beiden haben ausserdem das neue Aussenbanner gestaltet, das bis Ende dieses Jahres die Gebäudefassade einkleidet.

Anne-Lise Coste macht Spray-Paintings. Für ihre Ausstellung im Kunsthaus hat sie für ein paar Wochen vor Ort gearbeitet und sich im Untergeschoss ein Atelier eingerichtet. Sie benutzt nicht nur Leinwände als Bild- oder Schriftträger, sondern besprüht auch Gegenstände wie etwa Matratzen, Plastiktüten und Kleidungsstücke. Letztere sind in Form von Hemden im Kunsthaus zu sehen. Es sind farbliche Gesten, Spuren, Zeichen, Wörter, die zur Malerei werden – oder eben zu etwas Neuem, zu etwas, das sich zwischen Bild und Objekt, zwischen Körper und Raum bewegt.

Wir werden tanzen

Genauso wie die farbigen Buchstaben aus Neonröhren, die an den Wänden der Ausstellungsräume leuchten. Es sind unvollständige Begriffe, die im Kopf weitergedacht werden können, zum Beispiel «Amour».

Coste kam aus Marseille nach Zürich, um dort ein Masterstudium an der Kunsthochschule zu absolvieren, das sie 1999 abschloss. Sie gehört nun schon zur Schweizer Szene. Ihre Arbeitsweise ist aktivistisch, frech, provokativ. Ihre Sprache präzise, scharfsinnig und zugleich poetisch. An einer Wand ist eine dreizeilige Reihe von 27 Plakaten, jeweils im Format 120 mal 80 Zentimeter, angebracht. Sie muten politisch an, sind es auf eine Weise auch – die Künstlerin sammelte die darauf lesbaren Schriftzüge an öffentlichen Plätzen, Häuserwänden und Kundgebungen. Und zugleich laden sie einen doch zum blossen Leben, zu einem initiativen und gemeinschaftlichen Miteinander ein.

Auf den Plakaten sind optimistische Slogans zu lesen, die an die Zukunft appellieren, so wie: «Wir werden marschieren, wir werden tanzen, wir werden sprechen»; ausserdem «Police», womit allerdings nicht die Polizei gemeint ist, sondern Selfcare und Fürsorge, die wir einander geben können und sollten.

Coste ruft in ihrer künstlerischen Arbeit dazu auf, dass wir und als Leerstelle abgebildet – sprengen. Die Verzweiflung einer ganzen Generation schwingt darin mit, unter anderem gespeist aus der Pandemie. Es geht darum, Ängste zu überwinden und sich endlich wieder offen begegnen zu können.

Kampf oder Liebe?

An diese Haltung schliessen sich die Arbeiten von Claudia und Julia Müller an. Die beiden Schwestern arbeiten bereits seit 1991 zusammen. Neben feinen, filigranen Zeichnungen, die sich im Kunsthaus in Form von runden Stickern über die Ausstellungsfläche verteilen, sind es grossformatig angelegte figürliche Malereien, die sich über meterlange Wände erstrecken und die uns, indem wir ihnen gegenüberstehen, einen fast physisch begehbaren Bildraum anbieten.

Wir sehen Momente des zwischenmenschlichen Miteinanders, Alltägliches, Intimes. Und wir sehen zwei Menschen miteinander balgen; sie ringen, kämpfen – oder lieben sie einander? Wir wissen es nicht genau. Wir sehen nur die Ineinander-Verknotung beider Körper, die sich bloss durch die schwarzweissen und grauen Schattierungen voneinander unterscheiden lassen. Schwere und Leichtigkeit wechseln sich konstant miteinander ab.

Gleiches geschieht im Bannerbild, das draussen an der Aussenfassade des Kunsthauses angebracht ist. Zwei Figuren gehen auf Grenzfühlung miteinander. Dieses Thema ist nicht nur universal relevant, sondern auch gerade in politisch brisanten Zeiten von Krieg und Unterdrückung mehr als präsent. Wo höre ich auf? Wo beginnt der andere?

Valeska Stach

Anne-Lise Coste, «Poem Police»: Bis zum 17. Juli 2022.

Claudia & Julia Müller, «Eine kurze Geschichte schmutziger Turnschuhe»: Bis zum 22. Mai 2022.

www.kunsthausbaselland.chuns verantwortlich zeigen. Und gleichzeitig, dass wir uns befreien, dass wir unsere Ketten – von ihr auf einer Leinwandserie übersprüht

Previous
Previous

Die Subversive

Next
Next

Four Rooms: A Floating World – Kunst und Gang der Welt