Four Rooms: A Floating World – Kunst und Gang der Welt
von Katharina Holderegger
Zürich – Etienne Lullin und Corrado Ferrari zeigen zurzeit in den vier grossen Räumen ihrer Galerie vier Kunstschaffende unterschiedlicher Generation aus ihrem Programm. Der älteste von ihnen, Pierre Haubensak (*1935, Brünig; lebt in Zürich), ist mit Beispielen seiner zwischen 1988 und 2008 verfolgten Serie ‹Tetras› vertreten. Von den drei jüngeren Kunstschaffenden, Klodin Erb (*1963, Winterthur; lebt in Zürich), Jamie Isenstein (*1975, Portland/OR; lebt in Portland/OR) und Sebastian Utzni (*1981, Augsburg/D; lebt in Zürich und Luzern) sind ausschliesslich oder vorwiegend neue Werke zu sehen. Im Communiqué der Galerie ist zu lesen, die Ausstellung fordere das Publikum auf, dass seine Sehgewohnheiten und Vorurteile zu hinterfragen. Das könnten Floskeln sein. Sowohl in die historischen wie auch aktuellen Bilder dieser Ausstellung sind jedoch Momente eingeschrieben, die auf einmal keine frontale Lektüre mehr erlauben, sondern unabänderlich eine entscheidende Veränderung und Erweiterung der Perspektive herbeiführen. In den 14 bis 34 Jahre alten Arbeiten des abstrakt orientierten Haubensack bleibt alles jedoch im Ästhetischen und Philosophischen, während bei den figürlich vorgehenden Erb, Isenstein und Utzni konkrete Probleme unserer Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur einbrechen.
Pierre Haubensak
So unterteilte Haubensak alle Gemälde der Serie ‹Tetras› in vier gleiche Felder, denen er zwar je einen distinkten Farbton gab, aber durch einen ähnlichen Farbauftrag und die gleiche nicht selten da und dort auch noch hervorlugende Untermalung zusammenhielt. Diese Merkmale stellen jedoch nur die Grunddisposition dar, in der Haubensack konsequent in der Diagonale immer wieder eine Helldunkelmalerei erprobte. Die Augen werden deshalb hin und her gerissen zwischen der Fixierung auf die eine Querachse, die zum Beispiel aus einem Mausgrau und einem Grasgrün bestehen kann, und die andere, die vielleicht ein Altrosa und ein Himmelblau enthält. Und mit der Zeit entsteht der Eindruck, als würden sich die Bilder um ihren eigenen Schwerpunkt herum bewegen – gerade wie ein in seiner einfachsten Ausführung aus einem Blatt Papier ebenfalls vierteiliges Windrad. Die Botschaft dieser in unserem Kopf entstandenen Dynamik bleibt dabei offen. Man ist jedoch dazu geneigt, sie als beschwingend zu erleben und deshalb auch als Anstoss aufzufassen, auch im Alltag beim Sehen und Denken in Bewegung zu bleiben. Unterstrichen wird dies nicht zuletzt durch den Genuss, den die Farbklänge bieten, die Erinnerungen an die eher kühle von aparten Kontrasten lebende Malerei des 19. Jh. wie Ingres oder Manet wecken.
Klodin Erb und Sebastian Utzni
Auch bei Erb und Utzni geht es durchaus um Kunst, wie sie unter geübter Hand immer wieder neue Welten reiner Wonne hervorbringen kann. Durch den Rückgriff auf das Blumenstillleben respektive auf die Naturlandschaft schiebt sich dieser Aspekt in den neuesten Bildern dieser Kunstschaffenden sogar in den Vordergrund, da Blumen und Natur an und für sich bereits als schön als gelten. Es ist die Art und Weise, wie Erb und Utzni diese Gegenstände in ihre Arbeit eingeführt und bearbeitet haben, die hier alles doppelbödig macht, was nicht zuletzt durch die Betitelung der Serien bekräftigt wird.
So besteht die Unterlage der ‹Flowers for Sale› von Erb aus Wachstischtüchern mit repetitivem Blumenmotiv ein, auf denen sie dieses in Acrylfarbe zu wahren Explosionen von Farben, Texturen und Formen entwickelte. Mit dem «ready made» eines handelsüblichen Haushaltsartikel, der im Alltag oft als Ersatz für Blumen dient, kommt auch unser dagegen fast obligater Konsum des genuinen Artikels bei festlichen Anlässen auf das Tapet, der – bei Tageslicht betrachtet – gerade nicht zurück zur Natur führt, sondern dieser vielmehr enorm zusetzt von der Anpflanzung mit oft unkontrolliert eingesetzten Düngern und Pflanzenschutzmitteln über den Transport und den Verkauf bis zu der Entsorgung. Die ‹Flowers for Sale› von Erb, denen teils durch «shaped canvases» sogar eine Bouquetform gegeben ist, empfehlen sich deshalb vielleicht auch als umweltfreundlichere und darüber hinaus bestimmt lebendigere Alternative als nur Wachstischtücher mit Blumenmotiv, um Farbe und Frische in das Haus zu holen.
Utzni fand die Vorlagen für seine ‹Conflicted Landscape›-Serie dagegen bei Recherchen zu den hauptsächlichen Extraktionsorten der vier notabene wegen ihrer Verwendung in Elektrogeräten umkämpft gewordenen und deshalb auch als «conflicted materials»adressierten Rohstoffe Gold, Zinn-, Tantal- und Wolframerz auf dem Internet. Er setzte die Fotografen der von waldbestandenen Hügeln um Seen geprägten Landschaften im Herzen von Afrika dann jedoch höchst aufwändig in technisch und stilistisch unverkennbar an japanischen Vorbildern aus dem 17. bis 19. Jh. orientierten Holzschnitten um. Durch die für die Abzüge verwendeten Tinten Cyan (Blau), Magenta (Rot) und Yellow (Gelb), wie sie zusammen mit Key (Schwarz) normalerweise in Strahldruckern zum Einsatz kommen, sind die klar konturierten Flächen mit feinen Farbabstufungen nur etwas satter und greller ausgefallen als die Ukyo vermittelnden Beispiele. So bezeichnet dieser als «fliessende Welt» zu übersetzende Begriff, der Lullin und Ferrari zum Titel der Viererschau ‹A Floating World› anregte, die in der langen Friedenszeit von Japan in Edo (Tokyo), Kyoto und Osaka ausgebildete Kultur, in der sich die arbeitslose, wirtschaftlich absteigende, aber nach wie vor privilegierte Kriegerkaste und die aufstrebende Händlerschicht um professionelle Unterhalter und Unterhalterinnen wie Geishas, Ringer, Sängerinnen, Dichter und Malerinnen der Ergötzung an ästhetischer Raffinesse und sexuellen Abenteuern hingeben konnten. Die ‹Conflicted Landscape›-von Utzni erscheinen vor diesem Hintergrund umso mehr als Symbole für den teuren Preis, den indes Bevölkerungen in Ruanda, Uganda und Burundi sowie im Gebiet des Ostkongo als erste für die Hochrüstung unseres Lebens zahlen.
Jamie Isenstein
Wie stark auch a priori nicht politisierte Kunstschaffende in den letzten Jahren immer weniger von den Krisen entgegen rasenden Zustand der Welt wegesehen können, wird jedoch vielleicht am eindringlichsten die Zeichnungen von Isenstein deutlich, da diese in Verbindung mit einer älteren Installation aus gezeigt werden. Erstmals von der Galerie Meyer Riegger an der Art Basel 2011 gezeigt, stellt diese nach wie vor eine so präzise wie ökonomische Reflexion über die Bedingungen der bildenden Kunst dar, wie solche ihr Werk in früheren Schaffenszeiten grundsätzlich auszeichnen.
So entstand diese Installation durch eine Performance während der ganzen Messe in Basel. Immer wieder wob Isenstein auf den Saiten einer Harfe an einem farbenfrohen Muster und stellte dazwischen ein Schild davor auf, auf dem «Intermission»zu lesen war, was nun dauerhaft der Fall ist. Die entstehende Kunst brachte so nach und nach die Musik zum Schweigen und erschien erst jeweils das mit ihr in Verbindung gebrachte Eigenleben als Zeitkapsel zu führen, wenn die Künstlerin verschwand, wobei sie es nun bis zu ihrem Tod offenlässt, ob sie jemals wieder zurückkommen und weiterfahren wird. Allerdings erscheinen so gut wie sämtliche Saiten auf ihrer ganzen Länge eingepackt.
In ihren neuen wie üblich akribischen, aber nie harten und objektivierten, sondern zarten und lebendigen Zeichnungen, die gewöhnliche Geräte aus der Küche, der Stube, dem Bad oder dem Eingangsbereich auf weissem Grund in den Fokus rücken, wird die bildende Kunst ebenfalls kombiniert mit Elementen, die sie gerade nicht aufnehmen kann wie neben Geräuschen auch Wind, Feuer und Licht. Der surrealistische Einschlag der Darstellungen oder wenigstens ihrer Gruppierung zu zweit oder zu viert generiert jedoch dann ein Unbehagen. Die Geräte verwandeln sich in symbolische Formen mit einem riesigen Resonanzraum. Trotz der häuslichen Sphäre frühen sie uns tatsächlich mitten in die Spaltungen der amerikanischen Gesellschaft hinein, die seit dem Sturm des Kapitols durch radikalisierte Staatsgegner ein Gefühl der Unsicherheit verbreitet.
Wie sehr alle nur noch das Begehren zu haben, ihren Standpunkt zu verlautbaren, aber niemand mehr bereit ist, dem anderen zuzuhören, wird in zwei Diptychon zum Ausdruck. Im einen warten Trommelschläger wie nur darauf, auf eine umgekehrte Pfanne zu hauen. Im anderen sind ein Föhn und eine Trompete wie eine Pistole und ein Gewehr aufeinander gerichtet. Eindrücklich ist weiter die Serie von vier Händen, von denen jede ähnlich wie die Statue of Liberty ihre Fackel eine modernere Glühlampe in die Höhe reckt. Sie werfen die Frage auf, ob die technische Entwicklung tatsächlich zu einem besseres Leben führe oder eine solche Hoffnung nur in eine Enttäuschung münden könne, wofür alles künstliche Licht in den Augen der Künstlerin ohnehin steht, da es nicht die Sonne sei. Ein in einem Korb loderndes Feuer greift hingegen die Redewendung «Going to hell in a handbasket»oder auch «handcart»oder «bucket»auf, die eine aus dem Ruder gelaufene Lage bezeichnet, deren Ursache nicht klar ist. Am komplexesten ist jedoch vielleicht das Diptychon mit je einem Kerzenständer, in dem ein Reisstrohbesen steckt, der auch entflammbar ist und mit den im amerikanischen Volkstum nach wie vor enorm präsenten Hexen in Verbindung gebracht werden kann. In ihnen sah die jüdische Künstlerin jedoch auch immer einen personifizierten Antisemitismus, wie sie in einem virtuellen Künstlergespräch in der Galerie schilderte. So habe sie sich beim Anschauen des ‹Wizard of Oz› immer gefragt, weshalb Hexen spitze Hüte haben und Sabbat feiern. «So anyway, I always felt that the witch in the ‹Wizard of Oz› was me.»