Bis nur Buntstiftstummel bleiben

VON KATINKA FISCHER


Exkurse in die Kunstgeschichte mit Zeichnungen und ­Aquarellen: Das Museum Wiesbaden zeigt Ritschl-Preisträger Sławomir Elsner. Am Ende des Rundgangs setzt er dem eigenen Tun ein Denkmal.

Von dem massigen runden Schädel, den grimmigen schwarzen Augen, der markanten Nase und dem Teint aus expressionistischen roten, gelben, grünen und blauen Pinselstrichen, die auf Alexej von Jawlenskys Selbstbildnis aus dem Jahr 1912 hervorstechen, ist kaum noch etwas übrig. Die schwarzen Konturen, die klar voneinander abgegrenzten Farbflächen, der finstere Gesichtsausdruck haben sich aufgelöst. Aus dem zarten, nahezu abstrakten, farbigen Nebel scheint das ursprüngliche Motiv nur schemenhaft hervor. Dennoch erkennt man trotz dieser starken Verfremdung das Original, ein Werk aus der Sammlung des Museums Wiesbaden, sofort wieder.

Sławomir Elsners Interpretation ist mit einem Maß von 53,5 mal 48,5 Zentimetern exakt so groß wie das Original. Von dessen Technik allerdings unterscheidet sie sich: Statt der pastos auf Karton aufgetragenen Ölfarbe, die der russische Maler verwendet hat, greift der 1976 in Polen geborene Künstler zu Buntstift und Papier. Auf diese Weise unterläuft er nicht nur die seit der Renaissance gültige Trennung zwischen der auf den Umriss konzentrierten Zeichnung und der auf Farbwirkung bedachten Malerei. Indem er ein berühmtes Bild weitgehend auf dessen Licht- und Farbeindruck reduziert, stellt er zugleich das konditionierte kollektive Bildgedächtnis auf die Probe.

Artikel veröffentlicht in Frankfurter Allgemeine 25. NOV. 2021, letzter Zugriff am 28. Januar 2022: https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/kultur/ausstellung-von-slawomir-elsner-im-museum-wiesbaden-17641231.html

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