LIMINAL MOMENTS 1
mit Anne Morgenstern, Anne-Lise Coste, Franziska Furter, Pierre Haubensak, Slawomir Elsner
Wir freuen uns sehr, Sie in der Gruppenausstellung Liminal Moments 1 zu begrüssen. In der Schau zeigen wir Arbeiten von drei Künstlerinnen und zwei Künstlern in unterschiedlichen Medien.
Der Titel verdankt sich einem Abschnitt aus dem Buch Anthro-Vision: A New Way to See in Business and Life der englischen Anthropologin Gillian Tett. In der Einleitung weist die Autorin darauf hin, dass die am wenigsten hinterfragten Vermutungen, diejenigen sind, die am fragwürdigsten sind.
Gillian Tett macht darauf aufmerksam, dass während dem COVID-19-Lockdown viele Männer einen Bart wachsen liessen. Dies wurde gemeinhin auf den Umstand zurückgeführt, dass die Arbeit im Home Office eine gewisse Nachlässigkeit im Erscheinungsbildes der Personen mit sich brachte. Die Gesichtsbehaarung wurde nicht entfernt, da man nicht ins Büro ging. Das Gesicht aber wurde durch die Zoom Telefonate noch mehr ins Zentrum gerückt, was diese Erklärung zumindest abschwächt.
Gillian Tett erwähnt, dass der Anthropologe Victor Turner, der auf dem afrikanischen Kontinent arbeitete, ein Konzept namens Liminalität entwickelte, welches die Explosion von Gesichtshaar während dem COVID-19-Lockdown zum Teil erklärt. In seiner Theorie stellt Turner fest, dass die meisten Kulturen Rituale und Symbole verwenden, um Übergangspunkte oder -phasen, seien dies solche in einem Kalender (zum Beispiel der Beginn eines neuen Jahres), der Start eines neuen Lebenszyklus (Eintritt in die Erwachsenenwelt), oder ein grosses soziales Ereignis (nationale Unabhängigkeit) zu markieren. Diese besonderen Momente werden liminal nach dem lateinischen Wort limens, Durchgang/Tür genannt. Ein häufiges Kennzeichen eines liminalen Momentes ist, dass die übliche symbolische Ordnung umgekehrt wird. Diese wird im Gegensatz zur Normalität gesetzt, um einen Übergangsmoment zu markieren. Oder können die neuen Verhältnisse nun als neue Normalität interpretiert werden?
Der Eindruck herrscht vor, dass wir uns aktuell in einer Zeit grosser Veränderungen befinden, die von uns allen eine geistige Beweglichkeit verlangen. Als Galerie und somit Teil der Kunstszene befinden wir uns ebenfalls in dieser Phase der Liminalität – wir begegnen täglichen Veränderungen. Die Welt zwingt uns geradezu, uns mit ihr zu ändern, uns anzupassen und zu aktualisieren. Klimawandel, Weltpolitik, psychische Gesundheit, Medien, neue Ansätze in zwischenmenschlichen Beziehungen, neue Wahrnehmung unserer eigenen Körper, unser Verständnis von Kunst – alles befindet sich im Wandel und muss neu erfunden werden. In Liminal Moments 1 reagieren die Kunstschaffenden in ihren Arbeiten auf unterschiedliche Art und Weise auf die Zeitenläufe. Jedes Kunstwerk besitzt einen symbolischen Gehalt, den die Betrachterinnen und Betrachter in einen historischen Kontext einordnen müssen und für sich entdecken können.
Anne-Lise Coste (geb. 1973 in Marignane nahe Marseille FR, lebt und arbeitet in Sète FR) ist eine Zeichnerin, Malerin und Plastikerin, die stets politisch arbeitet. Sie hatte zahlreiche Ausstellungen in wichtigen Museen und Kunsthallen. Besonders erwähnenswert ist ihre aktuelle Wandarbeit im Kunsthaus Baselland zur Eröffnung der neuen Räumlichkeiten, und ihre institutionellen Einzelausstellungen 2022 Poem Police ebenfalls im Kunsthaus Baselland in Basel (CH), 2020 La La Cunt im Kunstverein Dortmund (DE), 2019 La vie en rose im CRAC Occitanie Sète (FR). Ihre Arbeiten befinden sich in bedeutenden öffentlichen Kunstsammlungen, unter anderem MACBA, Barcelona (ES), Aargauer Kunsthaus, Aarau (CH), Staatsgalerie Stuttgart (DE), FRAC île-de-france und FRAC, Loire (FR).
Slawomir Elsner (geb. 1976 in Wodzisław Slaski PL lebt und arbeitet in Berlin DE) benutzt für seine Papierarbeiten in erster Linie Farbstift und Aquarell. Oft beschäftigt er sich mit Bildern der Alten Meister. In diesem Jahr wird am 12. Juni eine grosse Einzelausstellung in der Graphischen Sammlung in München von ihm eröffnet. Er ist mit vielen Einzel- und Gruppenaustellungen hervorgetreten. 2021/2022 wurde ihm eine Einzelausstellung im Kunstmuseum Wiesbaden (DE) gewidmet. Seine Arbeiten befinden sich unter anderem im Dresdner und Berliner Kupferstichkabinett, im Kunstmuseum Wiesbaden und in der Staatlichen Graphischen Sammlung und im Lenbachmuseum in München (DE).
Franziska Furter (geb. 1972 in Zürich CH, lebt und arbeitet in Basel CH) ist eine Zeichnerin und Plastikerin, die sich oft mit Wetterphänomenen auseinandersetzt. Sie arbeitet in Serien. Franziska Furter zeigte in der diesjährigen Triennale in Melbourne (AUS) eine grosse Installation und 2023 die Einzelausstellung Making Waves im Bündner Kunstmuseum, Chur (CH). Ihre Arbeiten befinden sich in wichtigen öffentlichen Sammlungen, unter anderem im MoMA, New York (USA), im Kupferstichkabinett Basel (CH), im Aargauer Kunsthaus, Aarau (CH).
Pierre Haubensak (geb. 1935 in Brünig CH, lebt und arbeitet in Zürich CH) ist einer der wichtigsten Schweizer Maler, der über eine lange und erfolgreiche Karriere verfügt. Immer wieder setzt er sich neu in schlüssigen Serien mit den Möglichkeiten der Malerei auseinander. Seine Praxis ist vergleichbar mit derjenigen eines Komponisten, der Musik strukturiert und kreiert. Innerhalb eines strengen Rasters entwickelt er Bildsysteme. Seine Gemälde beschreiben Möglichkeitsformen und diese Offenheit wirkt sich auf die Rezeption aus: Die Bilder stellen sowohl abstrakte als auch figurative Konstellationen dar. Pierre Haubensak Gemälde und Zeichnungen befinden sich in vielen Museen in der Schweiz, unter anderem im Aargauer Kunsthaus, Aarau; Graphischen Sammlung der ETH, Zürich und im Kunsthaus Zürich. Sein Werk ist auch in der Sammlung des Cincinnati Art Museum (USA).
Anne Morgenstern (geb. 1976 in Leipzig DE, lebt und arbeitet in Zürich CH) ist eine Fotografin, deren Werk sich mit Menschen, ihren Beziehungen zueinander und zu ihrer Umgebung befasst. 2023 hat sie mit Rudi Novotny (Text) den Hansel-Mieth-Preis gewonnen für herausragende Reportagen für "Ich will eine normale Frau sein. Einfach so" – die Geschichte von Ella, die im ZEIT Magazin veröffentlicht wurde. Für ihr Fotobuch MACHT LIEBE erhielt sie 2022 den Swiss Design Award. Ihre Arbeiten wurden in verschiedenen Einrichtungen gezeigt, darunter im Centre de la Photographie Genève, im International Center of Photography in New York (USA) und den Deichtorhallen in Hamburg. Zuletzt war sie im Fotomuseum Winterthur in der Ausstellung "Chosen Family—less alone together" zu sehen. Ihre Arbeiten wurden in gedruckten und Online-Publikationen veröffentlicht, darunter Das Magazin, Der Spiegel, Monocle, NZZ Magazin, Republik, SZ Magazin, The Financial Times, VOGUE Germany, Wallpaper, Weltkunst, ZEIT und ZEIT Magazin, u.a.