Franziska Furter
Landscape with Landscape
mit Ulrike Mohr, Timo Nasseri, Julia Steiner und Markus Weggenmann
4. September – 23. Oktober 2021
Wir freuen uns sehr, Ihnen neue Arbeiten von Franziska Furter (*1972 in Zürich, lebt und arbeitet in Basel) in ihrer fünften Einzelausstellung in unserer Galerie zu präsentieren. Furter richtet ihre Ausstellung in vier Räumen der Galerie ein und hat zu jedem der Räume Arbeiten von jeweils einer Künstlerfreundin oder einem Künstlerfreund ausgewählt. Dabei handelt es sich um Arbeiten von Ulrike Mohr, Timo Nasseri, Julia Steiner und Markus Weggenmann.
Ausgangspunkt für das Konzept ihrer Ausstellung ist das Buch Landscape with Landscape (1985) des australischen Autors Gerald Murnane. Murnane lebt abgeschieden in Goroke, einer staubigen früheren Postkutschenstation im Südosten von Australien. Er schreibt rätselhafte Texte, in denen er seinen Gedankenfluss zu Papier bringt. Lange wurde er vom internationalen Literaturbetrieb kaum beachtet, erst in letzter Zeit begann sich ein breiteres Publikum für seine Bücher zu interessieren. Franziska Furter fasziniert an Murnanes Schreiben, dass «seine Geschichten ohne Anfang und Ende sind. Sie wirken wie Kapitel aus einem grösseren Ganzen, sind aber doch vollkommen eigenständig. Sie mäandern zwischen Realität und Fiktion hin und her – in ihnen verschwimmen Grenzen und Zeiten. Laut Murnane sind «Vorstellungen auch eine Art Realität.» Landschaft ist bei Murnane Metapher für ganz viele Dinge. Manchmal bezeichnet Landschaft die Umgebung in der Realität, dann die Welt der Fantasie oder seine eigene innere oder äussere Welt. Landschaft kann auch Seele bedeuten. Murnane äussert sich in einem Interview folgendermassen: «Der Geist ist eine weite Landschaft. Es gibt immer etwas Unausgesprochenes.» Die Texte von Murnane erinnern in ihrer Vielschichtigkeit und Konstruktion unter anderen an diejenigen von Italo Calvino, Raymond Carver oder Jose Luis Borges. Die Leserinnen und Leser müssen sich immer wieder neu auf die Semantik, die Stimmungslage des Geschriebenen einstellen.
Franziska Furter sieht viele Parallelen zwischen ihrer Arbeit und den Schriften von Gerald Murnane. Einerseits besitzen sowohl seine als auch ihre Arbeiten autobiographische Bezüge, andererseits sind sie von diesen völlig getrennt. Ein Oszillieren zwischen Zuständen wohnt sowohl dem Werk von Furter als auch dem Schreiben von Murnane inne. Auch die Wiederholung ist konstituierender Bestandteil beider Werke. Furter stellt fest, dass das Leben voller Wiederholungen sei: Die Jahreszeiten, die Lebenszyklen, der Tagesablauf, das Lernen von Dingen. Wiederholung sei schon immer auch Teil ihrer Arbeit gewesen, exemplarisch komme dies in ihren Serien zum Ausdruck.
Das Buch von Murnane gab Furter Anregungen und bestärkte sie in ihrem Vorhaben, mit Arbeiten von Freundinnen und Freunden ihre künstlerische Landschaft zu erweitern und eine Spannung zwischen verschiedenen Arbeiten unterschiedlicher Autorschaft zu erzeugen. Auch das Thema der Freundschaft, das durch die Pandemie und die daraus folgende Beschränkung der Kontakte eine grössere Bedeutung und Dringlichkeit erhielt, wird somit in der Ausstellung berücksichtigt.
Im ersten Raum zeigt Furter die monumentale Tuschzeichnung Nothing Else Matters, die eine explodierende Landschaft wiedergibt. Furter lehnt sich dabei an Darstellungen von Explosionen aus Mangas und Super-Hero-Comics an und fügt diese zu einer fantastischen Gesamtschau. Der grossen Zeichnung stellt Furter zwei Glasarbeiten, Cosmos (Branch 1) und Cosmos (Branch 3) von Julia Steiner (*1982 in Büren zum Hof, CH, juliasteiner.ch) gegenüber. Obschon in vollkommen unterschiedlichen Techniken hergestellt, besitzen die Glasarbeiten von Steiner im schlagartigen Festhalten eines Moments, dem Erzeugen von Spannung eine inhaltliche Verwandtschaft mit der Tuschzeichnung von Furter.
In der Mitte des zweiten Raums liegt der getuftete Wollteppich Liquid Skies. Furter hat sich die Technik des Tuftens kürzlich angeeignet und sie schnell zu einer grossen Meisterschaft entwickelt. Der kuschelige Teppich gibt ein Infrarot-Satellitenbild eines Hurrikans wieder. Diese Satellitenbilder bilden eine Realität ab, die so nicht sichtbar ist, sondern nur durch technische Verfahren zum Vorschein kommt. Furter übersetzt den flüchtigen Moment des Infrarotbildes in eine verpixelte, dauerhafte Teppichlandschaft.
Sieben Arbeiten von Timo Nasseri (*1972 Berlin, timonasseri.com) aus der Serie der Meshes vervollständigen die Gruppe von Werken im zweiten Raum. Die konstruktiven Arbeiten dieser Serie von Nasseri beruhen auf den Berechnungen des Schweizer Mathematikers Jacob Steiner, der den Beweis erbrachte, dass sich mit geraden Linien Parabeln beschreiben lassen. Die Skulpturen sind der Versuch, das, was in der zweidimensionalen Zeichnung unlesbar oder verloren gegangen ist, wie etwa das Volumen von Körpern, in der dritten Dimension wieder lesbar zu machen. Nasseris Kunst ist an der Schnittstelle zwischen der visuellen Kultur des Westens und derjenigen des Islams anzusiedeln. Der Kunsthistoriker Hans Belting hat in seinem Buch Florenz und Bagdad: Eine westöstliche Geschichte des Blicks (2008) die unterschiedlichen Sichtweisen von Ost und West erläutert. Das Zusammenspiel zwischen dem bunten, flauschigen, wollenen Teppich von Furter und den schwarzen, metallenen Wandskulpturen von Nasseri kann als eine wunderbare Verbindung von gegensätzlichen Landschaften bezeichnet werden.
Timo Nasseri, Mesh 1, 2012. Pulverbeschichteter Stahl, Ed. 5 25.5 x 19 x 20 cm
Timo Nasseri, Mesh 2, 2012. Pulverbeschichteter Stahl, Ed. 5, 24 x 42 x 20 cm
Timo Nasseri, Mesh 3, 2012. Pulverbeschichteter Stahl, Ed. 5, 31 x 18 x 16 cm
Timo Nasseri, Mesh 4, 2012. Pulverbeschichteter Stahl, Ed. 5, 19 x 58 x 24 cm
Timo Nasseri, Mesh 5, 2012. Pulverbeschichteter Stahl, Ed. 5, 35 x 38 x 24.5 cm
Timo Nasseri, Mesh 6, 2012. Pulverbeschichteter Stahl, Ed. 5, 23 x 38 x 31 cm
Timo Nasseri, Mesh 7, 2012. Pulverbeschichteter Stahl, Ed. 5, 31 x 40 x 24 cm
Im dritten Raum sind zwölf Papierarbeiten aus der Serie Remains of the Day von Franziska Furter verteilt. Die Arbeiten beruhen auf Furters vertiefter Beschäftigung mit der Marmorierungstechnik, die in früheren Werkzyklen wie zum Beispiel der Corona-Serie, den Refractions und den Scattered Rainbows bereits zur Anwendung kam. Für die Arbeiten der Serie Remains of the Day geht Furter folgendermassen vor: Zunächst verteilt sie mehrere bunte, ölhaltige Tintenfarben auf der Wasseroberfläche und tupft die eigentliche Zeichnung weg. Die auf der Wasseroberfläche verteilten Reste nimmt sie erneut mit einem Papier ab. In diesem Prozess verfolgt Furter konsequent die Prinzipien des Zufalls. Für die Serie stellte Furter farbige Künstlerrahmen her, die die Werkgruppe zusammenhalten und einzelne farbige Elemente in den Bildern verstärken.
Zur Gruppe der farbigen Zeichnungen ist die installative, schwarze Arbeit Elevating Audrey Rose aus dem Jahr 2017 von Ulrike Mohr (ulrikemohr.de) platziert. Die Arbeit beruht auf einer Anordnung von geköhlerten Schindeln, die Mohr auf einer quadratischen Fläche verteilt und mit Schnüren miteinander verbunden hatte. Das Zeichenmaterial der Kohle wird im performativen Prozess zu einem Gegenüber der Tänzerin Audrey Rose Burden, die es sich wie ein Kleid anlegte und ihren Körper damit verhüllte, aber auch schützte und schmückte. Sie zog die Fäden, ähnlich wie bei Marionetten, um der Skulptur eine neue Ausrichtung zu geben. Die nun präsentierte Anordnung besitzt einerseits einen Nachhall dieser Performance, andererseits ist sie das unmittelbare Resultat der aktuellen Installation, wie sie in der Galerie realisiert wurde. Die Werkgruppe von Furter und die Arbeit von Mohr ergänzen sich ausgezeichnet. Die farbigen Überbleibsel finden ihr Echo in den geköhlerten Schindeln. Die Fragilität beider Werkgruppen manifestiert sich in unterschiedlicher Form.
Im vierten und letzten Raum hängen vier gerahmte, grossformatige, schwarzweise Aquarelle aneinandergefügt zu einem Quadriptychon namens Hikaru. Die Blätter sind in akribischer Arbeit im Wohnatelier von Furter in Basel entstanden. Sie bestechen durch ihre dem Papier entlehnte Leuchtkraft. Diesen Effekt erzielte Furter, indem sie unzählige schwarze Tuscheschichten übereinanderlegte und weisse handtellergrosse Kreise ganz aussparte oder mit weniger Schichten leuchten liess. Den vier Blätter ist eine beinahe sakrale Würde eigen, die durch ihre Grösse noch gesteigert wird. Die Aquarelle lassen an nächtliche Fensterdurchsichten denken und verweisen auf eines der Lieblingswerke von Furter, den zwei Mal sechs Wandschirmen des Japanischen Künstlers Tohaku, einem Japanischen Zen-Maler des 16. Jahrhunderts.
Neben den aufragenden Tuscharbeiten hängen 14 kleine, hochpigmentierte Bilder von Markus Weggenmann (markusweggenmann.ch) in einer Wolkenformation. In ihrer farbigen Intensität ergänzen die Bilder von Weggenmann die schwarzweisen Tafeln von Furter auf wunderbare Weise. Weggen-mann spielt in ihnen mit der Gegenständlichkeit, ohne dass sich figurative Elemente deuten lassen.
Franziska Furter ist in dieser Ausstellung nicht nur als äusserst vielseitige, in unterschiedlichen Medien arbeitende Künstlerin präsent, sondern auch als umsichtige Kuratorin, die auf grossartige Weise die Landschaften von zwei Künstlerfreundinnen und zwei Künstlerfreunden mit ihrer visuellen Landschaft zu verbinden weiss. Den Besucherinnen und Besuchern eröffnen sich eine Vielzahl von Querverbindungen, Assoziationen, Widersprüche und verblüffende Einsichten.