Sehnsucht nach Golfspielen im Skulpturenpark

Kroatien. Die vierte „Industrial Art Biennale“ führt unter dem Titel „Landscapes of Desire“ an Orte, zu denen Touristen in Istrien sonst selten gelangen: In die alte Zeche eines Kohlebergwerks etwa oder ins verlassene Dorf Raša.

Unberührte Natur, fantastisches Essen, ein „Fest für die Sinne“ – so wird Istrien derzeit mit kurzen Werbeeinschaltungen auf Instagram beworben. Schon Ende des 19. Jahrhunderts galt die kroatische Halbinsel als kleines Paradies, im Küstenstädtchen Opatija traf sich Europas Adel, woran noch heute prächtige historische Bauten erinnern.

Aber es gibt auch eine andere Seite: In Istrien begann bereits 1789 der Abbau von Kohle. Nur wenige Autominuten von der Zeche in Labin entfernt ließ Mussolini 1936 die Stadt Raša bauen. Innerhalb von 547 Tagen als „faschistische Idealstadt“ fertiggestellt, wurden hier italienische Bergarbeiter angesiedelt, die bis 1949 fast eine Million Tonnen Kohle gewannen. 1966 musste das Bergwerk schließen. Heute erinnern Fabrikruinen und verfallende Häuser an die frühere Industrialisierung. 2014 griff das Künstlerkollektiv L.A.E. (Labin Art Express) diese Seite Istriens auf und gründete die „Industrial Art Biennale“.

Ursprünglich wollten sie einige Minen zu Kulturstätten umfunktionieren. Zwar sind die vielen unterirdischen Verbindungsgänge zwischen Labin und Raša noch immer nicht zugänglich, aber zumindest ein Teil der ehemaligen Zeche ist jetzt ein Kulturzentrum – und alle zwei Jahre Hauptort der Industrial Art Biennale.


Magische Momente im desolaten Dorf

Gerade eröffnete die vierte Ausgabe unter dem von den beiden Schweizer Kuratoren Christoph Doswald und Paolo Bianchi gewählten Titel „Landscapes of Desire“. 29 Künstlerinnen und Künstler führen uns in Pula, Raˇsa, Labin und Rijeka „Sehnsuchtslandschaften“ vor – und die Werke könnten diverser kaum sein. Zwar ist das zentrale Thema nicht immer zu decodieren, aber das Zusammenspiel von Kunst und Ausstellungsort wirkt oft magisch – ganz besonders in Raˇsa. Viele Gebäude hier sind verlassen, es gibt nicht einmal ein Restaurant. Die Biennale- Beiträge allerdings entwickeln in diesem desolaten Dorf eine große Intensität, wenn Olaf Nicolai einen Mädchenchor aus der riesigen, leeren Fabrikruine klingen lässt, Igor Grubic im ehemaligen Kino einen großartigen Animationsfilm über Stahlarbeiter zeigt und Werner Feiersingers Istrien-Fotografien in einer ehemaligen Kantine hängen – als wollten sie bessere Zeiten beschwören.

Völlig aus der Zeit gefallen erscheint auch der Skulpturenpark Dubrova in Labin. Unter dem jugoslawischen Diktator Tito initiiert, fanden hier ab 1970 Bildhauersymposien ähnlich jener in St. Margarethen am Neusiedler See statt. Insgesamt entstanden 95 meist im Stil der Moderne entworfene Steinskulpturen verschiedener Künstler, die verteilt im 33 Hektar großen Gelände stehen. Dazwischen irritiert jetzt ein neues Werk: ein Stein, in dem Mengen von Golfschlägern stecken. Die Skulptur ist Teil von Christian Jankowskis Biennale-Beitrag, für den er in den Park einen Golf-Parcours mit neun Löchern mähen ließ und zum „1st Industrial Golf Open“-Turnier einlud – an dem auch Kurator Doswald teilnahm und immerhin den fünften Platz belegte.

Foto: Jules Spinatsch

Staub von Sternen und Touristen

Die Löcher sind wieder verschwunden, die filmische Dokumentation läuft jetzt im Kulturzentrum Labin. Wie anders dagegen legt Sonia Leimer ihren Beitrag im römischen Augustus-Tempel aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. in Pula an: Auf dem Boden liegen merkwürdige kleine, runde Formen. Leimer sammelte in dem Touristen-Hotspot Staubpartikel und analysierte sie in Kooperation mit dem Wiener Naturhistorischen Museum. Sie fanden Industriestaubkörner – und kosmischen Sternenstaub. Die mikroskopisch kleinen Formen übersetzte Leimer in ihre Skulpturen. Brachial dagegen wirkt Lara Almarceguis Haufen aus neben- und übereinander gestapeltem, unbearbeitetem Karstmarmor im Hafen von Pula. Die weißen Steine sind ein Exportgut Istriens, dienen als hochwertiges Material etwa für Hotels rund um die Welt und scheinen hier als stoische, unbehauene Blöcke auf ihre Verwandlungen zu warten. Der Kontrast zwischen Pula und der Hafen- und Industriestadt an der nördlichen Adria allein ist die Fahrt hierher wert – wie uns diese Biennale überhaupt auf eine spannende Reise durchs postindustrielle Istrien schickt.

VON SABINE B. VOGEL

Die Presse, 10. Juni 2023

https://www.diepresse.com/13427985/sehnsucht-nach-golfspielen-im-skulpturenpark

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